Bayern: Denn sie wussten, was sie tun – Prüfung der Verantwortung für die Coronamaßnahmen unmöglich, weil keine Akten existieren!

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Bild: Wikimedia Commons, Oliver Raupach, CC BY-SA 2.5, Bearbeitung: Niki Vogt
von Niki Vogt

Die Corona-Maßnahmen haben die Grundrechte der Deutschen massiv eingeschränkt und nicht ohne massive, nachteilige Folgen. Teilweise wird sich der Schaden durch die Eindämmungsmaßnahmen erst noch in voller Schönheit zeigen. Nun werden viele Stimmen sehr laut, die Rechenschaft von den Politikern fordern. In Bayern soll nun juristisch geklärt und geprüft werden, ob das Maßnahmenpaket das Gebot der Verhältnismäßigkeit gewahrt hat. Jetzt jedoch stellen die Prüfer fest, dass es nach Auskunft des bayerischen Gesundheitsministeriums überhaupt keine Akten zu diesen Entscheidungsprozessen gibt. Ein Unding. Viele fragen sich: Schlamperei oder Absicht?

Mal einfach fröhlich die Grundrechte massiv eingeschränkt … aufgrund welcher Güterabwägung?

Im Frühjahr auf dem hiesigen Höhepunkt der Coronapandemie hat die bayerische Staatsregierung die Grundrechte eingeschränkt, um eine massenhafte Ausbreitung von Corona zu vermeiden – etwa die Bewegungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, das Recht auf freie Selbstbestimmung, oder auch das Recht auf freie Berufsausübung.

Die Schäden, die durch diese Maßnahmen entstanden sind, sind erschreckend hoch. Nicht nur, dass ganze Berufszweige und Wirtschaftssparten in Gefahr sind, wie zum Beispiel der Einzelhandel, der – bis auf die Supermärkte, Apotheken und Baumärkte – Wochen um Wochen geschlossen bleiben musste und dadurch tief in die Verlustzahlen gefallen ist. Oder das Hotel- und Gaststättengewerbe, wo zu befürchten steht, dass die Hälfte aller Betriebe in Insolvenz gehen könnte und entsprechend hohe Arbeitslosenzahlen und zerstörte Existenzen produziert. Im Gesundheits- und Wellnessbereich, bei Physiotherapeuten, Psychotherapeuten, Krankengymnasten, Friseuren, Masseuren, Fußpflegern und anderen, ähnlichen Berufen drohen massenhaft Insolvenzen und Schließungen, was auch langfristige Folgen für Gesundheit und Wohlbefinden der Bürger haben wird. Sogar Arztpraxen, bis Anno Corona restlos überlaufen, verlieren täglich viel Geld durch leere Wartezimmer, genau, wie Kliniken Kurzarbeit anmelden müssen. Auch die Schulkinder haben viel aufzuholen und leiden unter der Trennung von Freunden und Spielkameraden, aber auch unter dem Entzug des Umgangs mit Oma und Opa und Verwandten. Die häusliche Gewalt hat zugenommen, Selbstmorde sind nach oben geschnellt, der Alkoholismus hat zugelegt und es sind mehr Tote durch unbehandelte Herzinfarkte, Schlaganfälle und andere, dringend gebotene medizinische Notfälle zu befürchten, bei denen die Patienten einfach aus Angst vor „Corona“ nicht in die Kliniken gegangen sind.

Grund genug für die Mainzer Rechtsanwältin Jessica Hamed, einmal zu evaluieren, ob all diese desaströsen Maßnahmen verhältnismäßig waren. Sie strengte Verfahren an und begehrt zu wissen, wer denn diese Entscheidungen getroffen hat, was die Entscheidungsgrundlagen dafür waren und wer das alles begutachtet und überprüft hat  – und gegebenenfalls gewarnt oder gebilligt hat, was dann an Maßnahmen entschieden wurde.

Rechtsanwältin Jessica Hamed informiert auf der Webseite ihrer Anwaltssozietät über Zahlen und Fakten zu der Covid-19-Pandemie. Hier finden wir eine Relation von Aufwand und Wirkung, wie sie frappanter nicht sein kann. Hier ein Ausschnitt:

  • Wenn die Masken die Zahl der Infektionen um 20 % abgesenkt haben, wäre es ohne Masken anstelle der 67 Infektionen zu 84 Infektionen gekommen. Die Masken haben also Thüringen in sechs Wochen 17 Infektionen erspart, in einer Woche 2,8.

  • Wie viele Menschen waren dafür der Maskenpflicht unterworfen? Thüringen hat 2,1 Millionen Einwohner*innen Der Anteil der unter 7-Jährigen, für die die Maskenpflicht nicht gilt, wird auf 8% (Lebenserwartung von 80 Jahren und gleichmäßiger Alterspyramide) geschätzt. Für Pflegebedürftige gilt zwar grundsätzlich die Maskenpflicht, sie gehen aber (jedenfalls in der Regel) nicht mehr Einkaufen und fahren nicht mehr Bus und Bahn, ihr Anteil wird auf 4% geschätzt (deutschlandweit gibt es 3,4 Millionen Pflegebedürftige = 4% der Gesamtbevölkerung). Zuzüglich 3% für sonstige Personen (Krankenhauspatienten, Inhaftierte, von der Maskenpflicht aus gesundheitlichen Gründen Befreite u.a.) werden 15% = 315.000 Menschen als von der Maskenpflicht nicht betroffen angesehen.

  • Das Ergebnis lautet: 1.785.000 Menschen mussten in Thüringen in Geschäften und im öffentlichen Personenverkehr Masken tragen, um maximal 2,8 Infektionen pro Woche zu verhindern. Stellt sich nur noch die Frage, wie viele der (in sechs Wochen) 17 Nichtinfizierten statistisch im Falle der Infektion ernsthaft erkrankt wären.

1.785.000 Menschen mussten also Masken tragen, um maximal 2,8 Infektionen pro Woche zu verhindern, die möglicherweise zu nicht einer einzigen ernsthaften Erkrankung geführt hätten. Wenn das nicht offensichtlich unverhältnismäßig ist, was dann? [23]

Frau Rechtsanwältin Hamed hält diese Covid-19-Eindämmungsmaßnahmen für den massivsten Eingriff in die Grundrechte während der 75jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere die Ausgangsbeschränkungen. Sie negiert die Gefahr durch Covid-19 nicht, aber sie sieht die in der Verfassung garantierten Grundrechte in absolut unverhältnismäßigem Verhältnis eingeschränkt im Vergleich zu dem Nutzen der Maßnahmen. Ihre Normenkontrollklage will Frau RA Hamed nun in jedem Bundesland durchführen.

Das sollte nun der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in Ansbach juristisch prüfen. Das heißt, er will, aber – wie der bayerische Rundfunk berichtet – er kann nicht.

Niemand hat begutachtet, niemand entschieden, niemand ist verantwortlich und Akten dazu gibt es auch nicht!

Rechtsanwältin Jessica Hamed verlangte vom bayerischen Gesundheitsministerium Einsicht in die Akten, die für das Verfahren der Normenkontrollklage nötig sind. Diese Klage soll klären, ob die massiven Einschränkungen von Grundrechten wie der Bewegungsfreiheit oder der Versammlungsfreiheit aus rechtlicher Sicht angemessen waren. Also: Welche Gefahrenprognose lag vor und von wem? Woher kamen die Vorschläge für die Maßnahmen, wer hat das vorgeschlagen, wer hat das begutachtet, wer hat aufgrund welcher Faktenlage entschieden und das Ganze abgenickt? Das alles müsste in den Akten des Bayerischen Gesundheitsministerium dokumentiert sein. Immerhin ging es um eine globale Pandemie und den noch nie dagewesenen Fall eines „Lockdowns“, der die Grundrechte aller Bürger stark einschränkte und auch die Wirtschaft einer schweren Belastung unterzog.

Um so erstaunlicher die Antwort des Bayerischen Gesundheitsministeriums: Es gibt keine Akten. Das ist kein Scherz. Das berichtet der Bayerische Rundfunk und auch die immer regierungsfreundliche Süddeutsche Zeitung ätzt im Titel: „Aktenzeichen XY unbekannt

Damit ist es so gut wie unmöglich geworden festzustellen, was die Entscheidungsgrundlage für die Beschlüsse war, merkt Rechtsanwältin Hamed kritisch an. Es bleibe auch unklar, ob der Staat überhaupt erkannt hat, dass es Rechtsgüter abzuwägen galt. Die Anwältin beantragte nun, den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, sowie die Gesundheitsministerin Melanie Huml als auch weitere Mitglieder des Kabinetts zu Zeugenaussagen vor Gericht zu laden.

Nachdem die Eilanträge gegen die Corona-Verordnungen des Freistaats Bayern abgelehnt worden waren, befindet sich die Sache jetzt im Hauptverfahren, bei dem die Anwältin das Recht auf Einsicht in Akten und alle diesbezüglichen Dokumente hat. Und sie fand … nichts.

Die Einlassung des Gesundheitsministeriums dazu lautete gepflegt: Es sei nicht möglich, eine „Behördenakte vorzulegen, die ein umfassendes Bild über die Erkenntnisse liefern könnte, welche bei der Meinungs- und Willensbildung der Staatsregierung (. . .) Berücksichtigung fanden“.

Jo, mei, irgendwie ging dös ois so schnell und überhaupts müssen wir ja gar keine Akten gar nie nicht haben?

Man habe eine so große Anzahl an Informationsquellen zu Rate gezogen,  „dass eine aktenmäßige Erfassung nicht im Einzelnen erfolgen konnte“. Aber als Hauptquelle wurden – der Leser ahnt es schon – die täglichen Lageberichte des RKI zu Rate gezogen. Sowie Gespräche mit Virologen (Wahrscheinlich jemand lockiges von der Charité) und wissenschaftliche Studien.

Eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums ließ überdies wissen, dass für Verordnungen wie die Covid-19-Maßnahmen eine Dokumentation gar nicht vorgeschrieben sei. Und man habe ja diese Beschlüsse damals, in der akuten Situation, sehr schnell fassen müssen. Die Forschung habe quasi laufend neue Erkenntnisse hinterhergeliefert.

Juraprofessor Gerrit Manssen von der Universität Regensburg sieht das anders: Das könne eigentlich nicht sein, dass es überhaupt keine Akten gebe. Zwar existiere keine explizite Gesetzesvorschrift für diesen Fall, aber eine rechtsstaatliche Verwaltung müsse ihre Entscheidungen (insbesondere bei Grundrechtseinschränkungen) dokumentieren, so dass sie auch im Nachhinein richterlich überprüft werden können.

RA Jessica Hamed drückt es weniger Professoral aus. Das ganze Vorgehen sei „unfassbar, zweifelhaft und skandalös“. Auch Bayern sei dem Rechtsstaatsprinzip unterworfen.

„Das bedeutet, dass Verordnungen auf einer sachlichen und nachvollziehbaren Grundlage erlassen werden müssen. Nur so kann ihre Rechtmäßigkeit überprüft und dem Rechtsstaatsprinzip Genüge getan werden. In anderen Ministerien kann sich denn auch niemand vorstellen, dass es keinerlei Unterlagen über das Zustandekommen der Ausgangsbeschränkungen geben soll. 

Für eine Verordnung erarbeitet für gewöhnlich eine Abteilung einen Entwurf, der dann per Umlaufmappe durch viele Hände im Haus geht, vom Abteilungsleiter über den Amtschef bis zum Staatssekretär und Minister. Jede Stelle muss den Vorgang mindestens abzeichnen, meistens werden Vermerke angefertigt.

„Grundrechte über Monate hinweg einschränken, ohne die Entscheidungsgrundlagen zu dokumentieren – das wirft ein ganz schlechtes Licht auf die Regierung“, rügte der Fraktionschef der FDP, Martin Hagen, die Vorgänge. Die AfD verortet die Hauptverantwortung für „dieses dramatische Versäumnis“ nicht nur bei Gesundheitsministerin Huml, sondern auch bei Ministerpräsident Söder. Die Chefin der Landtags-Grünen, Katharina Schulze, war fassungslos: „der Wahnsinn“ sei es, dass keine Akten über die Entscheidungsgrundlage vorhanden sein sollen. Und SPD-Fraktionschef Horst Arnold empfindet diese Handlungsweise als „höchst verstörend“ und nennt es ein „Verwaltungsversagen“. 

Jetzt ist das RKI schuld?

RA Jessica Hamed moniert, dass es einfach nicht ausreiche, im Gesundheitsministerium jetzt mit dem Finger auf Berichte des Robert Koch-Instituts, des Landesamtes für Gesundheit und auf Gespräche mit Medizinern zu zeigen und diesen nun den schwarzen Peter zuzuschieben. Solche enorm wichtigen Beschlüsse müssten nachvollziehbar gemacht werden, damit die Bürger sehen können, warum und wie es zum Lockdown und zur Suspendierung von Grundrechten gekommen ist. Hamed möchte jetzt genau wissen, wie diese Besprechungen exakt abliefen und wie argumentiert und abgewogen wurde.