Der Irrtum – warum die breite Masse immer noch der Corona-Ideologie nachläuft

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von Gunnar Kaiser

Obwohl längst unübersehbar ist, dass der ausgetretene Pfad der Corona-Ideologie in die Irre geht, taumelt die breite Masse unbeirrt darauf weiter. Exklusivabdruck aus „Der Kult“.

Ist der Corona-Mainstream eine Sekte, die wir nur deshalb nicht als solche erkennen, weil so ungeheuer viele Menschen ihr anhängen? Manchmal könnte man das glauben. Bestimmte Merkmale weisen darauf hin: ein festgefügter Glaube, der sich durch Fakten keinesfalls beirren lässt. Verbohrtheit und Ausgrenzung von „Ketzern“ sind weit verbreitet. Zur Aufrechterhaltung einer linientreuen „Erzählung“ wird ein enormer mentaler Aufwand betrieben, der es im zweiten Schritt schwer macht, den Irrtum einzusehen. Der Philosoph, Moderator und Video-Influencer Gunnar Kaiser hat schon früh die These vertreten, dass wir es bei dem ausgeprägten Rechtgläubigkeits-Furor der Corona-Linientreuen mit einem Kult zu tun haben, der sich mit Vernunft und Wissenschaft lediglich gut zu tarnen versteht. In diesem Auszug aus seinem Buch „Der Kult: Über die Viralität des Bösen“ beschäftigt sich Kaiser unter anderem mit einem anderen Kaiser — jenem mit den neuen Kleidern aus dem Märchen — und mit dem Überhandnehmen von Nashörnern in einem bekannten Theaterstück. Er geht der Frage nach, wie es zur totalen Herrschaft des Absurden und Irrationalen über den Geist vieler Menschen kommen kann.

Am Anfang steht das Bauchgefühl, dass das, was nicht stimmt, nicht man selbst ist — sondern die Situation. Dem aber folgt bald schon das Eingeständnis, dass man sich geirrt hat, und zwar in mindestens einem wesentlichen Punkt der Sicht auf die Dinge, und dass es gerade dieser Irrtum ist, der uns Teil der Situation werden ließ. Nun ist Irren nur allzu menschlich, doch die Größe, sagt man, soll im Eingestehen des Irrtums liegen und darin, aus seinem Fehler zu lernen. Oder, um es mit Goethe zu sagen: „Einer neuen Wahrheit ist nichts schädlicher als ein alter Irrtum.“

Die Situation hat Erkenntnisse hervorgebracht, die das Weltbild vieler ins Wanken gebracht haben. Man wird sich eingestehen müssen, dass man sich vielleicht ein wenig hat blenden lassen. Man ist eine gewisse Zeit lang in die falsche Richtung gerannt. Vielleicht war man auch einfach zu gutgläubig. Die Erkenntnis kann stattfinden, sobald das Narrativ, auf dem die Weltsicht der anderen aufgebaut ist, sichtbar zu bröckeln beginnt. So entwickelten sich auch die Schlüsselerzählungen der letzten beiden Jahre: Die zahlreichen Säulen des Narrativs — etwa die PCR-Tests, die Überlastung der Intensivstationen, die Mortalitätsrate, die Masken, das Wohlwollen der Politiker, die Schulen als Treiber der Pandemie, die Impfung —, all diese für wahr geglaubten Wissensbestände brachen zusammen wie ein Kartenhaus, und das vor unser aller Augen.

Nun wird ja, wer die Situation bewusst und kritisch verfolgt hat, nicht verwundert gewesen sein. Die Ergebnisse vieler Studien bestätigen sehr viel von dem, worauf in den letzten beiden Jahren hingewiesen wurde. Doch wie kommt es, dass diese Irrtümer erst so spät als solche erkannt und aufgearbeitet werden — wenn überhaupt? Ein Grund liegt sicherlich in der „unheiligen Allianz aus Wissenschaftlern, Medien und Politik“, wie es der Journalist Frank Lübberding formuliert hat:

„Einige Wissenschaftler deklarierten, was Wissenschaft ist — nämlich nur ihre jeweilige Position. Medien sorgten für die nötige Reichweite, indem sie Gegenpositionen als unwissenschaftlich und gefährlich abqualifizierten. Das hatten schließlich die von ihnen zitierten Wissenschaftler so gesagt. Die Politik wiederum legitimierte ihre Entscheidungen mit den Einschätzungen jener Wissenschaftler, die das sagten, was die Politik aus unerfindlichen Gründen hören wollte: Dramatisierung anstatt Entdramatisierung. Allerdings geriet diese Allianz mit dem weitgehenden Zusammenbruch ihrer wissenschaftlichen Annahmen selber unter Legitimationsdruck“ (1).

Über ein Jahr lang hat das frostige Klima der Ideologie eine dicke Eisschicht über unsere Gesellschaft gezogen und sie zur Bewegungslosigkeit verdammt. Die Folgen dieses Zustands waren bald schon absehbar: immense wirtschaftliche, soziale und gesundheitliche Katastrophen, traumatisierte Kinder, eine Zweiklassengesellschaft, die schleichende Entwicklung hin zu einem totalitären, biopolitischen Verordnungsstaat …

Doch das Eis, das uns so sehr zur Bewegungslosigkeit verurteilt hatte, das uns gezwungen hatte, all das reglos mit anzusehen, hat inzwischen längst Risse, die unheilige Allianz aus Wissenschaftlern, Medien und Politik ist aufgeflogen — und die meisten Menschen laufen trotzdem noch immer wie mit Schlittschuhen darauf, getragen allein von der Ignoranz und der Illusion, die ihnen Selbstgefälligkeit und Diskursverweigerung ermöglichen. Wer gedacht hatte, es ginge ihnen um eine freie Gesellschaft und dass ihre Bereitschaft, unhinterfragt Anweisungen zu befolgen, die unter normalen Umständen mehr als nur ein dumpfes Unbehagen in der Magengegend bedingen sollten, einzig und allein aus der selbstlosen Absicht resultiere, größeren Schaden zu verhindern, muss sich angesichts der diese Annahme ad absurdum führenden gewaltigen Kollateralschäden eingestehen, dass er sich wohl geirrt hat.

Wie kann das sein? Die Mehrheit der Menschen folgt einer Seite, deren Aussagen an Gefährlichkeit und totalitärer Rhetorik kaum zu überbieten sind. „Wo die Freiwilligkeit zum Ergebnis führt, da braucht es keine Pflicht“, sagte Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn, der die Impfung auch als „patriotischen Akt “ bezeichnete. „Die Maske wird zum Symbol der Freiheit“, postulierte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, und der Journalist Sascha Lobo sprach sich für eine „kalte Impfpflicht“ (2) aus. Der Fernsehkomödiant Eckart von Hirschhausen meinte: „Wer sich nicht impfen lässt, ist ein asozialer Trittbrettfahrer“, und sein Berufskollege Dieter Nuhr forderte die Menschen auf, ihre „kleine Angst “ zu überwinden und sich für die Volkswirtschaft spritzen zu lassen.

Innenminister Seehofer erwähnte in einem Interview:

„Die nicht geimpfte Person muss auch einsehen, dass wir die Gesamtgesellschaft schützen müssen und deshalb nur die Geimpften zu größeren Gemeinschaftsveranstaltungen zulassen können.“

Und schließlich schrieb der Journalist Nikolaus Blome: „Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich um gesellschaftliche Nachteile für all jene ersuchen, die freiwillig auf eine Impfung verzichten. Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen“, nur noch übertroffen von der Aussage des CDU-Politikers Ruprecht Polenz, Geimpfte und Ungeimpfte seien nicht gleich und hätten deshalb auch keine Gleichbehandlung vor dem Gesetz verdient. Auf dem Düsseldorfer Fernsehturm war prominent und offiziell zu lesen „Impfen gleich Freiheit“, und Landespolitiker der CDU twitterten taktlos und geschichtsverharmlosend den Spruch „Impfen macht frei“.

Sicherlich: Wer hier nicht aufschreit und „Wehret den Anfängen“ ruft, kann nicht länger für sich in Anspruch nehmen, er sei gegen die Aufopferung des Individuums für das Gemeinwohl. Gegen Anpassung, Autoritätshörigkeit und Konformismus. Gegen Autokratie und Kontrollstaat, gegen einen Polizeistaat, der bloß nach „Law and Order“ vorgeht. Gegen Propaganda, Zensur und eine Verengung der Debatte. Gegen Diffamierung, Hetze, Diskriminierung und die Ausgrenzung Andersdenkender. Und doch scheint das Eis nicht zu brechen.

Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard unterschied zwischen zwei Arten des Irrtums: „Indem man glaubt, was nicht wahr ist. Oder indem man sich weigert zu glauben, was wahr ist.“ Diese Weigerung besteht nach wie vor. Doch wieso fällt es uns so schwer, Irrtümer, Inkompetenz, fehlerhafte Annahmen, Unvermögen, Korruption und sogar offensichtlichen Betrug zu erkennen und als solche zu benennen?

Zum Verdrängen des Offensichtlichen gehören hierbei manchmal zwei. Zum einen der, dem der Mut fehlt, seiner Intuition zu folgen und das Offensichtliche auszusprechen. Zum anderen derjenige, der ein Klima erzeugt, in dem Kritik von Vornherein undenkbar ist, und selbst dann, wenn das Augenscheinliche unleugbar vor ihm steht, Realitätsverweigerung betreibt. Über die Natur dieses Klimas, die unsere Gesellschaft noch immer lähmt, soll im Folgenden nachgedacht werden.

Um den anderen großen Dänen, Hans Christian Andersen, zu zitieren:

„‚Aber er hat ja nichts an!‘, sagte endlich ein kleines Kind. ‚Herr Gott, hört des Unschuldigen Stimme!‘, sagte der Vater; und der eine zischelte dem anderen zu, was das Kind gesagt hatte. ‚Aber er hat ja nichts an!‘ rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn es schien ihm, sie hätten Recht; aber er dachte bei sich: ‚Nun muss ich die Prozession aushalten.‘ Und die Kammerherren gingen noch straffer und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.“

Dass der Kaiser nackt ist, hat das Kind jetzt mehrmals gerufen; seine Stimme wird von Mal zu Mal verzweifelter und lauter. Und doch tragen wir noch immer eine Schleppe, die gar nicht da ist, anstatt sie loszulassen und uns selbst zu befreien. Wie kann das sein?

Im Land der Nashörner

In seinem Theaterstück „Die Nashörner“ aus dem Jahr 1957 beschreibt der französisch-rumänische Dramatiker Eugène Ionesco, wie sich Menschen nach und nach in Nashörner verwandeln. Die „Rhinozeritis“ greift um sich. Es handelt sich um eine imaginäre Epidemie, die alle Bewohner einer Stadt in Furcht und Schrecken versetzt und zu Nashörnern werden lässt. Diejenigen, die sich verwandelt haben, schließen sich wie selbstverständlich der durch die Straßen preschenden Nashornherde an — sei es aufgrund einer Herdenmentalität, aus Opportunismus oder aber aus Angst.

Warnungen einzelner Protagonisten vermögen den Verwandelten nicht Einhalt zu gebieten; sie verschlimmern vielmehr die Situation der Warner. Nur wenige sind es, die diese Verwandlung überhaupt wahrnehmen. Und nur ein Einziger widersteht letztlich der Massenpsychose. Während sich auch die Figur des Intellektuellen — genannt der „Logiker “ — in ein Tier verwandelt, bleibt am Ende der Protagonist Behringer, der für seine untätige Träumerei zuvor verspottet wurde, der einzige Nichtverwandelte, der sagt: „Ein Mann, der zum Nashorn wird, ist zweifellos abnormal.“

Zuerst beginnen sich die Menschen allmählich an das zu gewöhnen, was sie zuvor abgestoßen hat, dann, als die Bewegung gigantische Dimensionen annimmt, kommt es zu einer großen Wandlung der Gleichförmigkeit: Die „Masse“ hat sich der „Neuen Normalität der Nashornifizierung“ ergeben.

Für den deutschen Publizisten Richard Herzinger zeigt Ionescos Stück, wie die „Bedrohung der bürgerlichen Gesellschaft durch eine wie aus dem Nichts auftauchende, alle humanen Grundwerte pulverisierende Kraft (…) zuerst verleugnet, dann verharmlost und schließlich implizit oder explizit gerechtfertigt “ wird.

„Je mehr rechtschaffene Bürger sich nach und nach in schnaubende Viecher verwandeln, die rücksichtslos alles niederwalzen, was ihnen im Weg steht, desto größer wird die Bereitschaft der noch nicht Transformierten, in diesen Horden auch die guten Seiten zu sehen — oder zumindest aus der bloßen Tatsache ihres Daseins eine gewisse Legitimität ihres Soseins abzuleiten.“

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Unschwer lässt sich „Die Nashörner“ als Metapher für die jederzeit mögliche Selbstaufgabe der liberalen Welt, gar für den Aufstieg des Totalitarismus lesen, der durch einen grassierenden Konformismus und die Unmöglichkeit des Widerstands gegen eine gefährliche Entwicklung, die nach und nach die gesamte Gesellschaft erfasst, überhaupt erst ermöglicht wird.

Das Stück zeige, so Herzinger, „dass die eigentliche Gefahr in der Passivität der zivilisierten Gesellschaft und ihrer heimlichen Sehnsucht liegt, sich von einem die Verhältnisse scheinbar radikal vereinfachenden Prinzip überwältigen zu lassen“ (3).

Es ist keine Übertreibung, wenn man in der gegenwärtigen Situation die Gefahr eines Aufstiegs des kommenden Totalitarismus erkennt. Einige Intellektuelle wie die amerikanische Publizistin Naomi Wolf oder der Dramatiker CJ Hopkins haben das ohne falsche Rücksichtnahme getan. Auch wenn es, da die Anzeichen so überdeutlich sind, kaum noch einer Begründung bedarf, soll in diesem Buch trotzdem der Versuch gemacht werden, zum einen die Gefahren, die in einer Verstetigung der Situation und der Gewöhnung an sie liegen, herauszustellen und zum anderen die Besonderheit des kommenden Totalitarismus zu formulieren. Dazu später mehr.

Doch von noch größerem Interesse als die Frage nach der Eigenart des heraufziehenden Totalitarismus sind die, die sich auch an Ionescos Stück anschließen: Warum erkennen es einige wenige, die Masse aber nicht? Wie bleibt man ein Nichtverwandelter, ein Mensch unter Nashörnern? Liegt darin überhaupt ein Wert — denn man macht es sich ja selbst bloß schwer, ohne das Unheil aufhalten zu können? Kann man dem Wahn etwas entgegensetzen, und wenn ja, was? Welche Rolle spielen dabei Faktenwissen, Vernunftgründe und Aufklärung?

Wer sich in der Sicherheit wiegt, die Vernunft werde sich am Ende immer irgendwie durchsetzen, ist Opfer einer Illusion geworden. Ionesco war einer der wenigen Autoren, die das Irrationale als eine autonome Macht, die keiner Begründung außerhalb ihrer selbst bedarf, ernst genommen haben. Sein Stück stellt die Frage, unter welchen Bedingungen es möglich ist, in einem Land, in dem sich alle Menschen in Nashörner verwandeln, menschlich zu bleiben.

Hier können Sie das Buch bestellen: als TaschenbuchHörbuch oder E-Book.

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Quellen und Anmerkungen:

(1) Frank Lübberding, „Der Fall Schrappe“, in: Welt, 29. Juni 2021, https://www.welt.de/kultur/plus232088383/Intensivbetten-Recherche-Der-Fall-Schrappe.html?
(2) Zur Erläuterung: „Die kalte Impfpflicht ist eine nicht gesetzlich festgeschriebene, aber faktische Impfpflicht, weil der ungeimpfte Alltag für viele Leute schwierig bis unmöglich wird.“
(3) Richard Herzinger, „Er sah die Selbstaufgabe der liberalen Welt voraus “, in: Welt, 25. März 2017, https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article163154674/Er-sah-die-Selbstaufgabeder-liberalen-Welt-voraus.html

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